Offener Brief an den Göttinger Stadtrat – 14.05.2013

BETREFF: Nächste Sitzung des Bau- und Umweltausschusses am 23.5.2013

Bei der außerordentlichen Sitzung des Bau- und Umweltausschusses am 23.5.2013 sollen die Ausschussmitglieder über den Antrag der Stadt Göttingen zur Aufstellung eines Teilflächennutzungsplans „Windenergie“ beraten und abstimmen.

Der Vorstand der Bürgerinitiative Gegenwind Groß Ellerhausen/Hetjershausen e.V. bittet Sie, diesem Antrag nicht zuzustimmen, sondern ihn abzulehnen.

Begründung:
Die recht ungewöhnlich verlaufene Sitzung des Ausschusses für Umwelt-und Klimaschutz am 30.4.2013 veranlasst uns, zum TOP 02 „Teilflächennutzungsplan Windenergie – Aufstellungsbeschluss – Bericht Prüfung der Umweltaspekte“ Stellung zu nehmen und Ihnen für die Sitzung am 23.5.2013 möglicherweise noch nicht bekannte Informationen zukommen zu lassen.

  1. Laut Beschlussvorlage Punkt 1. soll für das Stadtgebiet Göttingen ein TFNP „Windenergie“ aufgestellt werden mit Ausschlusswirkung für das übrige Stadtgebiet durch die partielle Darstellung von Vorrangflächen für die Windenergienutzung. §8 Abs. 7 Nr. 1 NOG definiert Vorranggebiete jedoch als „Gebiete, die für bestimmte raumbedeutsame Nutzungen sind und andere raumbedeutsame Nutzungen in diesem Gebiet ausschließen“. Anders dargestellt ergibt sich durch Vorranggebiete also eine Ausschlusswirkung bzgl. Windenergienutzung für das übrige Stadtgebiet! Hier fehlt die klare und juristisch korrekte Definition der Begriffe Vorranggebiet, Eignungsgebiet und die damit verbundenen Ausschlüsse bzw. Steuerungseffekte. Dies ist aber vor einer Beschlussfassung unabdingbar.
  2. Der Flächennutzungsplan FNP bildet zusammen mit den Bebauungsplänen die sog. Bauleitplanung einer Kommune. Eine Neuaufstellung des FNP muss regelmäßig erfolgen, insbesondere dann, wenn sich wesentliche Rahmenbedingungen verändert haben.
    Der FNP der Stadt Göttingen aus dem Jahr 1975 ist veraltet und erfüllt die gesetzlichen Anforderungen nicht mehr. Seit Frühjahr 2011 befindet er sich in Neuaufstellung. Aufgrund mangelnder Ressourcen hinkt die grundlegende Überarbeitung schon weit hinter dem ursprünglichen Zeitplan hinterher! Umso unsinniger erscheint es, wenn die Verwaltung seit Sommer 2012 die Aufstellung eines TFNP Windenergie und seit Herbst 2012 die Änderung der Landschaftsschutzverordnung LS-VO betreibt, um die Voraussetzung für den TFNP Windenergie zu schaffen. Hier entsteht der Eindruck, dass die Bearbeitung des FNP und damit eine ganzheitliche Betrachtung und Bearbeitung zurückgestellt werden zugunsten einer investorenorientierten Planung Windenergie. Der Aufstellung eines TFNP sollte daher schon aus Einsparungsgründen bei Ressourcenmangel nicht zugestimmt werden, da ein TFNP bei Vorliegen eines FNP überflüssig ist.
  3. Anmerkungen zum Bericht „Prüfung der Umweltaspekte“: Folgt man den Ausführungen des Referenten bezgl. der KO-Kriterien nach dem BNatSchG § 44 Abs. 1 und Abs. 2, so ergeben sich für das Gebiet westlich von Hetjershausen deutliche Ausschlüsse zur Ausweisung von Windenergieflächen. Ebenso wie das NLWKN (Nds. Landesamt für Wasserwirtschaft, Küsten und Naturschutz, Herr Breuer) in seinem Schreiben vom 16.10.2012 (das merkwürdigerweise bei der Sitzung am 30.4.13 nicht auffindbar war!) weist auch der Referent auf das Tötungsrisiko einzelner Individuen, auf stark frequentierte Nahrungsräume und traditionelle Flugrouten von Vögeln hin. Bei den kollisionsgefährdeten Vogelarten sind grundsätzlich alle Greifvögel einzubeziehen! Unter Beachtung des BNatSchG und der Ausführungen des NLWKN ergeben sich für das Gebiet westlich von Hetjershausen klare Ausschlusskriterien für den Bau von WEA. Nachweislich jagen Rotmilane genau hier; legt man den Prüfradius von 6000 m zwischen Brutplatz und Nahrungshabitat zugrunde und berücksichtigt man darüber hinaus die hier existierenden Fledermäuse, darf in diesem Gebiet keine WEA gebaut werden, wenn die Empfehlungen des Niedersächsischen Landkreistages und die Ausführungen des Rotmilangutachtens von Dr. Corsmann beachtet werden. Insgesamt kann bei sorgfältiger und korrekter Durchführung der artenschutzrechtlichen Prüfung nach Vorgabe der EUVogelschutzrichtlinie davon ausgegangen werden, dass im Raum Südniedersachsen keine Flächen für WEA ausgewiesen werden dürfen.
  4. Infraschall: Sowohl auf der Homepage der Stadt Göttingen wie auch im Bericht des Referenten G. wird erklärt, dass keine Hinweise bzgl. negativer Auswirkungen von Infraschall auf die menschliche Gesundheit existieren unter Verweis auf eine Broschüre des Bayrischen Landesamtes für Umwelt, die fälschlich als Gutachten bezeichnet wird. Folgt man der Argumentation in dieser Broschüre, müsste auch radioaktive Strahlung als völlig unbedenklich klassifiziert werden, da sie vom Menschen nicht wahrgenommen werden kann! Verlässlicher und von größerer Kompetenz in medizinischen Fragestellungen sind hier die Aussagen des Robert-Koch-Institutes RKI, das dem Bundesministerium für Gesundheit direkt unterstellt ist und die Aufgabe hat, die Bevölkerung vor Gesundheitsgefahren zu schützen. Nach Auswertung zahlreicher Studien (von z.B. Schust, Maschke, Leventhal, Personn-Waye, Rylander, Poulsen, Möller, Lydolf, Feldmann, Pitten u.a.) kommt das RKI zu dem Ergebnis, dass bei kontinuierlicher Langzeitexposition zahlreiche Beeinträchtigungen der Gesundheit zu erwarten sind, großer Handlungs- und Forschungsbedarf in Bezug auf Infraschall besteht und dieses ernstzunehmende Problem von Behörden bisher unterschätzt wurde!
  5. Lärmaktionsplan: Schließlich möchten wir noch auf die Vorgehensweise und Widersprüchlichkeit beim Thema Lärm eingehen.

Die Stadt Göttingen erarbeitet in 2013 erstmals einen Lärmaktionsplan. Die Lärmkartierung beruht dabei auf Berechnungsvorschriften der Umgebungslärmrichtlinie. Ziel dieser Richtlinie ist es, auch ruhige Gebiete (wie die Flächen westlich von Hetjershausen) vor einer Zunahme des Lärms zu schützen. Obwohl es sich hier zweifelsfrei um ein Naherholungsgebiet nicht nur für Hetjershäuser Bürger handelt, wurde genau diese Fläche in den Karten und im Gutachten der LK Argus Kassel GmbH nicht als „Ruhiges Gebiet“ abgebildet. Auf zweimalige Nachfrage durch Dr. Scherer am 30.4.13 räumte Frau Janßen von LK Argus ein, von der Verwaltung der Stadt Göttingen aufgefordert worden zu sein, diejenigen Gebiete, die evtl. für den Bau von WKA angedacht sind, nicht als „ruhige Gebiete“ auszuweisen! Diese Vorgehensweise ist aus unserer Sicht skandalös und wirft ein bedenkliches Licht auf das demokratische Verständnis der Verwaltung der Stadt Göttingen. Welchen Wert haben dann derartige „Gutachten“?

Wir fordern die Mitglieder des Bau- und Umweltausschusses auf: Setzen Sie sich sehr kritisch mit der Ihnen vorgelegten Beschlussvorlage auseinander! Entscheiden Sie nicht übereilt und stellen Sie Sachkenntnis über Fraktionszwang!

Mit freundlichen Grüßen
Dr. Anita Schmidt-Jochheim
Susanne Gevert-Seidemann
Katharina Schüle-Rennschuh

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